Was passiert, wenn der Pate stirbt?

Nicht zum ersten Mal wird in den sozialen Medien spekuliert, ob Ali Chamenei eventuell gestorben ist. Zuletzt in der Öffentlichkeit gesehen, wurde der Führer des iranischen Regimes am 24.11.2020 mit Mitgliedern seines Obersten Rates in einem Meeting zur Wirtschaftskrise des Regimes.

 

Das Gerücht um den Tod des Obersten Führers wirft wieder einmal viele Fragen zu einer möglichen Nachfolge und der Zukunft des Iran auf.
Wer könnte auf den 81-jährigen folgen? Oder besser gefragt: Könnte überhaupt jemand die Position des „Revolutionsführers“ als Oberhaupt des Staates und Oberbefehlshaber aller Streitkräfte besetzen?

 

Der Pate

Ali Chamenei schaffte es seit seiner Benennung zum „Revolutionsführer“ im Jahre 1989, die Rolle des unantastbaren und unfehlbaren Oberhauptes einzunehmen, der zwar das Sagen in allen Institutionen und das Kommando über jegliche Streitkräfte hatte, aber niemals als schuldig an einer der zahlreichen Krisen seines Landes galt. Immer wieder opferte Chamenei die von ihm ausgesuchten Spielfiguren seines Regimes, wenn die Medien und das Volk eine Autorität zur Rechenschaft ziehen wollten. Ihm wurde eine Position zugeteilt, die darüber entschied, welche Figur des iranischen Regimes nach außen wie zu wirken hat, damit er während jeglicher Krisen außerhalb des Schussfeldes bleibt. Hassan Rohani, der erst mit der Erlaubnis von Chamenei den Atom-Deal unterzeichnen durfte, wurde den treusten Anhängern des Regimes, die gegen den Deal waren, als Sündenbock zugeworfen, um das Schauspiel Chameneis am Leben zu erhalten: Der Vertreter Gottes im Kampf gegen den westlichen Imperialismus, der stets standhaft bleibt.

 

Als Ali Chamenei zum Obersten Führer des Iran ernannt wurde, waren erst zehn Jahre seit der sogenannten „islamischen Revolution“ verstrichen. Genug Zeit für das Regime, um in einem achtjährigen Krieg gegen den Irak über fünfhunderttausend Menschen in den Tod zu schicken und zehntausende politische Gefangene hinrichten zu lassen. Doch vor allem der Krieg ließ es nicht zu innerhalb dieser zehn Jahre das wahre Gesicht Chameneis zu offenbaren. Ali Chamenei war zwar vor seiner Ernennung zum „Revolutionsführer“ bereits Staatspräsident und hatte sich durch seine aggressive Haltung während des Krieges einen Namen gemacht, doch befand sich das vom Krieg gebeutelte Volk nicht in einer Position die Ernennung Chameneis entsprechend einzuordnen. Über Nacht wurde Chamenei vom Hodschatoleslam zum Ayatollah ernannt, was ihm erst die Nachfolge als mächtigsten Mann des Iran ermöglichte.

 

Der Iran als Familien-Dynastie?

 Unter anderem wurde Mojtaba Chamenei (51) zuletzt mit der Nachfolge seines Vaters in Verbindung gebracht. Berichten zufolge, soll Ali Chamenei den Wunsch geäußert haben, seinen Sohn als seinen Nachfolger benennen zu lassen. Doch ist Mojtaba überhaupt in der Lage, die Rolle seines Vaters einzunehmen? Es dürfte ein Szenario sein, vor dem sich sogar die engsten Vertrauten des Führers fürchten dürften.

Mittlerweile ist der Thron des Paten nämlich nicht mehr so unangefochten wie noch vor einigen Jahren. Die Stimmen gegen den Oberbefehlshaber aller Streitkräfte wurden nicht nur aus dem Volk vehement lauter, auch aus den eigenen Reihen gibt es mittlerweile Kritik, die vor Jahren noch als unaussprechlich galt.

 

Hat Mojtaba die nötige Autorität?

Nicht nur das Standing von Chamenei hat sich innerhalb der Gesellschaft drastisch verändert. Mittlerweile wird fast täglich von einem neuen Korruptionsskandal innerhalb des verhassten Regimes berichtet. Die Summen, um die es bei den Unterschlagungen gehen soll, übersteigen zum Teil die Jahresbudgets deutscher Bundesländer. Und das in einem Land, in dem Schätzungen zufolge ca. 70% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben soll.

Einer der berühmtesten Korruptionsskandale im Iran wird geprägt durch genau das Gesicht, das die Nachfolge von Ali Chamenei antreten soll.

Der Wunschkandidat seines Vaters hat dadurch ein großes Problem: Er ist im Gegensatz zu seinem Vater, zum Zeitpunkt seiner Ernennung, eine flächendeckend verrufene Persönlichkeit. An ihm haftet ein Stempel, den er so schnell nicht loswerden kann.

Laut dem ehemaligen Präsidenten des iranischen Regimes, Mahmood Ahmadinejad, einem der engeren Vertrauten der Chamenei-Klicke, soll Mojtaba rund 1.600.000.000€ aus den Staatskassen durch schmutzige Geldwäsche und Tricks unterschlagen haben. Mojtaba gilt als eine der reichsten Männer innerhalb des Regimes und soll sich einen Zirkel aufgebaut haben, der mafiaähnliche Strukturen aufweist und in viele Bereiche der iranischen Wirtschaft verzweigt ist. Aussagen, die auch das iranische Volk zu hören bekommen hat.

Nur einen Tag, nachdem das Thema der Nachfolge Ali Chameneis publik wurde, gingen Menschen in der iranischen Stadt Behbahan am 07.12. auf die Straße und riefen:

„Mojtaba du sollst sterben, bevor du den Thron auch nur siehst!“

 

Das Jahr 2020 ist eben nicht mehr das Jahr 1989. Das iranische Volk hat innerhalb der letzten drei Jahre fünf Aufstände gegen das iranische Staatssystem durchgeführt und immer wieder die Person Chamenei für die Missstände im Iran verantwortlich gemacht. Beim letzten Aufstand, vor genau einem Jahr, wurden Berichten zufolge mindestens 1.500 Demonstranten auf offener Straße getötet und 12.000 Demonstranten verhaftet. Dabei soll Mojtaba bei der Niederschlagung der jüngsten Proteste, wie auch schon bei den Protesten im Jahr 2009, eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Dass das Volk Mojtaba Khamenei als Nachfolger zum Befehlshaber aller Staatsgewalt akzeptieren würde, ist eine eher vage Vermutung. Mojtaba könnte durch seine finanziellen Eskapaden kaum die Rolle des Unantastbaren ausfüllen, die das Regime für die Erhaltung seines Systems benötigt. Mit Mojtaba würde das Rollenspiel des Regimes ein Ende finden.

 

Hinrichtung-Minister als starke Hand?

Als weiterer Kandidaten für den Posten als neuer Pate gilt intern das Justizoberhaupt Ebrahim Raisi (59). Als möglicher Nachfolger hätte dieser zumindest den Vorteil, dass er wie auch Mojtaba gegenüber den anderen Anwärtern ein im Vergleich eher jüngeres Alter mit sich bringt. Doch auch wie Mojtaba wird die Person Raisi von seinem Schatten verfolgt:

Er ist durch seinen Posten als Chef der gesamten Justiz verantwortlich für die Hinrichtungen von politischen Gefangenen und hochgeschätzten Persönlichkeiten, wie dem Ringer-Champion Navid Afkari. Durch das harte Vorgehen der Justiz gegen die Demonstranten auf Geheiß Raisis, gilt dieser mittlerweile als einer der verhasstesten Funktionäre innerhalb der Zivilbevölkerung, die das Regime aufweisen kann. Genau deshalb hat Raisi jedoch sehr gute Kontakte zur hohen Riege. Wegen seiner Popularität bei den Hardlinern des Regimes gilt Raisi als Geheimfavorit. Seine Ernennung könnte allerdings neue und größere Protestwellen mit sich bringen.

 

Der „Buffalo“ mit Außenseiterchancen

Ahmad Alamolhoda (76), der Vertreter von Ali Chamenei in der iranischen Provinz Razavi-Chorasan ist der Schwiegervater von Raisi und gilt als einer der Ultra-konservativen des Landes.

Erst kürzlich machte er von sich zu sprechen, als er die Menschen in seiner Stadt Mashhad dazu aufrief trotz Corona den Schrein von Imam Reza zu besuchen und einen Lockdown nicht zuzulassen.

Obwohl er das nötige Geld und auch die nötigen Einflüsse in der iranischen Wirtschaft mit sich bringt, gilt Alamolhoda eher als Außenseiter zur Nachfolge Chameneis. Alamolhoda ist nämlich vor allem für seine fehlende Bildung und seine negativbehaftete Vergangenheit bekannt, was dem Posten als Obersten Führer eher entgegensteht. Aus seinem Umfeld wird dennoch immer wieder davon berichtet, dass er sich den Posten wünschen würde.

 

 Fazit

Im Grunde genommen dürstet das Regime seit Jahren nach einem neuen, noch nicht verbrannten Gesicht, um es auf oberster Ebene einsetzen zu können. Die Anwärter als Nachfolger sind jedoch alles nur alte Bekannte, die durch Verbrechen begründeten Ballast mit sich tragen müssen. Früher oder später wird das Regime einen Nachfolger ernennen müssen, um wenigstens zu versuchen das Staatssystem intakt zu halten. Wer es schlussendlich wird, steht in den Sternen. Dass das Regime durch den Tod Chameneis neue und größere Krisen erwartet, ist jedoch unumgänglich.